Gestern stellte Apple das neue iPad vor. Kurz darauf gab es die üblichen Diskussionen von begeisterten Fanboys, die sich jedes Apple-Produkt sofort ungeprüft zulegen müssen, enttäuschten Fans, die etwas anderes erwartet haben (“Ist ja nur ein großer iPod”) und kurzsichtigen Idioten, die auf jedem scheinbaren Mangel herumreiten (“Hat ja nichtmal USB oder ein Diskettenlaufwerk”).
Dabei geht es hier gar nicht um die Mängel in Hard- und Software, von denen es zweifellos noch einige gibt (fehlende Kamere, kein Multitasking, etc.)
Man mag auch von Apples Über-Protektionismus halten, was man will. Geschlossene Systeme, Überprüfung jedes Programms vor Freigabe – das stößt vielen übel auf. Allerdings scheint es, wie Spreeblick-Johnny bemerkt, noch keinen einzigen iPhone-Virus zu geben – insofern ist Apple damit schon erfolgreich.
Das wichtigste Feature des iPad ist allerdings nicht die Technik.
Die Revolution des Bedienens
Für mich ist die gravierendste Neuerung des iPads das User Interface. Eine Entwicklung, die mit dem iPhone begann und vermutlich in Zukunft in sämtliche anderen Computerbereichen ebenfalls einziehen wird.
Apple zeigt mit dem iPad eine Richtung, die sich immer weiter von der alt-herkömmlichen Art, einen Computer zu bedienen, entfernt. Heutzutage benutzen wir Umwege, um dem Rechner zu sagen, was wir wollen. Wir schieben eine Maus über den Tisch, um einen virtuellen Zeiger auf dem Bildschirm zu bewegen und mit Objekte zu interagieren. Das fällt mit dem iPad weg – statt des Pointing Devices benutzen wir jetzt wieder unsere eigenen Werkzeuge, die Hände.
Erinnert sich noch jemand an Microsoft Surface™, den Multitouch-Tisch des großen Konzerns aus Redmond? Da gab es schon die Ansätze zu sehen, leider haben sie es verkorkt, daraus ein vermarktbares Produkt zu machen.
“Warum überhaupt von der Maus Abstand nehmen? Hat sich doch bewährt.” fragen sich jetzt einige. Nun, die Maus wurde erfunden, weil man noch nichts besseres hatte. Das beste und ergonomischste Eingabegerät der Welt ist der eigene Körper, besonders die Hände und Finger. Millionen von Orthopäden werden sich freuen, dass der “Mausfinger” der Vergangenheit angehört. Man arbeitet gesünder und auch schneller mit den eigenen Händen.
“Ich kann nicht so mit Computern”
Omas, Opas und Schwiegermütter aller Welt werden sich dieses Gerät kaufen bzw. es von ihren Kindern angedreht oder geschenkt bekommen. Aufgrund der Tatsache, dass fast alles ohne viel technisches Verständnis eingerichtet werden kann, und eben weil man es ohne zusätzliches Eingabegerät bedient, wird es ein Rechner für alldiejenigen werden, die “normalen” Computern abgeneigt sind, weil sie sie nicht verstehen oder nicht bedienen können.
Deswegen widerspreche ich hiermit Matthias Schwenk, der sagt:
Es hätte der ganz große Wurf werden sollen, der Tablet-Computer von Apple. Statt dessen ist das iPad nur ein hübsches Gadget, das weder dem Internet im Allgemeinen noch dem Mediensektor im Speziellen eine klare Richtung weist.
Seitdem es das SDK für die iPhone-Software gibt, heißt es seitens Apple: Hier habt ihr das Werkzeug, seht zu, was ihr dafür bauen könnt. Wer glaubt, das iPad wäre nur ein lustiges Gadget zum Herumspielen und für mehr nicht geeignet, ist die letzten Jahre blind durch die Welt gelaufen.
Fakt ist, dass das iPad unsere Leben ähnlich umkrempeln wird wie das iPhone.
Ein Blick in die Glaskugel
Ich kann mir vorstellen, dass das iPad nicht nur im Consumer-, sondern auch im Business- und vor allem im Education-Bereich extrem erfolgreich sein wird. Es wird Applikationen dafür geben, von denen wir noch nichtmal träumen können. Wer hätte bei der Einführung des iPhone gedacht, dass es eine der bedeutendsten mobilen Gamingplattformen wird? Heutzutage ist (gefühlt) jedes zweite Telefon ein iPhone, zumindest in Hamburg. In entsprechender Umgebung ist die Konzentration noch erheblich höher.
In wenigen Jahren wird die Welt überschwemmt mit iPads (sowie den Imitationen der Konkurrenten) sein. Und irgendwann später wird Apple der erste Computerkonzern sein, dessen komplette Produktlinie nicht mehr per Maus gesteuert wird.
Bis dahin könnt ihr euch ja gern noch ein paar 25 Jahre alte Star-Trek-Episoden ansehen.
BTW: Weitere sehr lesenswerte Artikel über das iPad gibt es beim Elektrospanier und bei UARRR.
In Bezug auf das Userinterface stimme ich dir unbeschränkt zu. Ich würde es als Ersatz für den wesentlich teureren Lemur http://www.jazzmutant.com/ in der Musikproduktion einsetzen. Entsprechende Apps fürs iPhone gibt es ja bereits.
Aber, von allem kleinteiligen Technikgenörgel abgesehen, sehe ich die Geschlossenheit des Systems als wesentliches Problem an. Selbstverständlich geht es darum über das iPad Apps zu verkaufen. Der App-Store läuft hervorragend, wo sich doch bis heute tausende Leute den Kopf zerbrechen, wie im und mit dem Internet Geld verdient werden kann. Und wie die Content-Industrie ihr Siechtum, bedingt durch Raubkopien und Gratisinhalte, stoppen kann. Apple zeigt hier den Weg – denn auch ich bin komischerweise eher bereit für ne App einen kleinen Betrag zu zahlen, einen Film im iTunes store zu leihen, usw. Sicher liegt es an der Einfachheit des Systems. Doch will ich, dass auf meinem Pad nur Inhalte zugelassen sind, über die ein Konzern Kontrolle hat? Und will die Content-Industrie sich von apple Bedingungen für den Zugang zum virtuellen Kiosk diktieren lassen? Will ich nicht die Software nutzen, die ich möchte – und nicht, die ich darf? Dieser Protektionismus wird sicher schnell Nachahmer finden. Besser laufen werden die Geräte der Konkurrenz deswegen nicht, aber unsere Freiheit ist dahin – und ein wesentlicher Faktor für die Innovationskraft der Computerwelt: Offene Hardware.
Was für ein Hype wird da veranstaltet! Eigentlich kann man nur den Kopf schütteln. Aber es ist eine super Werbestrategie vom Apfel Chef. Ich denke, die Rechnung kann aufgehen. Auch ich finde das iPhone, das iPad (wenn es denn den Namen behalten darf) etc. stylisch und sicher sind die Geräte auch technisch gelungen. Aber das, was Sebastian oben schon anmerkt, ist für mich wesentlich. Ich habe schon Redmont den Rücken gekehrt, weil keine Vielfalt möglich war, weil alles von EINEM Konzern gelenkt wird. Dieser kann dann natürlich sehr profitabel agieren. Das der Apfel-Konzern genau diesen Weg ebenfalls beschreitet, ist offensichtlich und sehr schade. Das allein sagt mir, lass die Finger davon! Ich werde, auch wenn ich von vielen dafür belächelt werde, weiterhin Opensource (opensuse) verwenden.
Volle Zustimmung Carsten. Wo ich auch die Zukunft des iPad sehen könnte ist im medizinischen Bereich für die mobile Visite zum Beispiel. Wir werden sehen was die Zukunft bringt.
Haha, genau das hab ich mir auch schon gedacht. Es gibt so viele Einsatzzwecke dafür.
Ein weiterer sehr guter Artikel hierüber ist auf Spreeblick zu lesen: http://www.spreeblick.com/2010/02/01/willkommen-in-der-minderheit/